M. Aust u.a. (Hrsg.): Imperial Subjects

Titel
Imperial Subjects. Autobiographische Praxis in den Vielvölkerreichen der Romanovs, Habsburger und Osmanen im 19. und frühen 20. Jahrhundert


Herausgeber
Aust, Martin; Schenk, Frithjof Benjamin
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Laura Ritter, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

„Imperienforschung hat Konjunktur.“ (S. 9) – postulieren Martin Aust und Frithjof Benjamin Schenk zu Beginn ihres Sammelbandes. Gegenstand ist die autobiographische Praxis von imperialen Untertanen im Habsburger, Osmanischen und Russischen Reich. Dabei wird der Schwerpunkt auf imperiale Biographien (M. Aust) gelegt und somit erstmals Imperien- und Autobiographikforschung miteinander verknüpft. Der vorliegende Band ist der erste Teil einer Reihe, die im Zusammenhang mit dem gleichnamigen Forschungsprojekt herausgegeben wird. Dessen Fokus liegt auf Imperial Subjects und auf Diskursen der Selbstbeschreibung und Selbstverortung. In allen drei Imperien ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine exponentielle Zunahme an autobiographischem Schreiben und Publizieren zu verzeichnen. Untersucht wird daher, inwiefern diese Zunahme durch die Erfahrung des umfassenden politischen und sozio-ökonomischen Umbruchs im 19. Jahrhundert bedingt war und ob sich darin ein Bedürfnis der Individuen nach Auseinandersetzung mit diesem Wandel ausdrückte.

Die Leitfragen des vorliegenden Sammelbandes entsprechen autobiographischen Ansätzen in imperialen Kontexten: Es wird untersucht, in welche Traditionen sich die AutorInnen der Selbstzeugnisse in den drei Imperien einordnen, welche Leserschaft sie adressieren, in welche Gemeinschaft sie sich einschreiben wollen und was ihre Schreibanlässe waren. Dabei werden in erster Linie imperiale Experten untersucht, die überwiegend männlich sind und schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Eine sich durch den Band ziehende Grundthese lautet dabei, dass der Übergang zwischen biographischem und autobiographischem Schreiben häufig fließend ist – ein Element, das in vielen Beiträgen konsequent wieder aufgegriffen wird.

Der Band gliedert sich in sechs thematische Abschnitte. Der erste legt mit einem Beitrag Volker Depkats die methodischen Grundlagen für die weiteren Aufsätze des Sammelbandes. Mit Depkats Text wird auch dem nicht in die Materie der Autobiographik eingearbeiteten Leser ein nützliches Instrumentarium an die Hand gegeben, um die folgenden Beiträge des Sammelbandes einordnen und deren Mehrwert für die Forschung verstehen zu können. Besonders sein Aufzeigen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Autobiographien und Biographien als Akte sozialer Kommunikation verdeutlichen dem Leser den eingangs von den Herausgebern postulierten fließenden Übergang von biographischem und autobiographischem Schreiben. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit Autobiographik und Biographik in imperialen Kontexten und zeigt die grundlegenden Entwicklungen der autobiographischen Praxis in den drei untersuchten Imperien auf. Nora Mengel verdeutlicht in ihrem Beitrag die Bedeutung biographischer Lexika-Projekte im Habsburger und im Russischen Reich, die von AutorInnen rezipiert und unter Umständen auch Einfluss auf die entsprechenden Selbstbilder haben konnten. Mit den Beiträgen von Hans-Lukas Kieser, Denis Sdvižkov und Waltraud Heindl werden dem Leser die Entwicklungen in den drei Imperien einzeln präsentiert und die Möglichkeiten der Selbstpositionierungen der AutorInnen in oder zum jeweiligen Imperium gelungen aufgezeigt.

Die dritte Einheit des Sammelbandes beschäftigt sich mit dem Imperialen Ich zwischen Dienst und Profession. Hier dominiert eindeutig die Forschung zum Zarenreich. Die Beiträge von Ulrich Schmid, Carla Cordin und Peter Holquist sind äußerst lesenswert und informativ. Ihre Stärke liegt im Aufzeigen von unterschiedlichen Dimensionen der Verbindungen zwischen autobiographischem Schreiben und der eigenen Dienstkarriere, die entweder als Koppelung oder als Abgrenzung funktionieren. Allein Barbara Henning zeigt mit einer Untersuchung eines osmanischen Individuums eine weitere imperiale Perspektive auf. Das Habsburgerreich ist nicht vertreten.

Der vierte Abschnitt beleuchtet die Ich-Suche an der Imperialen Peripherie. Entsprechend der Imperienforschung ist es begrüßenswert, dass die Herausgeber den Fokus nicht ausschließlich auf das Zentrum legen. Die drei Imperien werden in den Beiträgen von Marija Dokić, Matthias Golbeck und Christian Marchetti über Experten an der Peripherie untersucht.

Im fünften Kapitel Autobiographik Imperial – Transimperial – National kommt der Vergleich zwischen den Imperien zum Tragen. Alexis Hofmeister untersucht die jüdische Autobiographik in allen drei Imperien und zeigt deren Gemeinsamkeiten auf. Jens Herlth hingegen beleuchtet einen polnischen Adligen, der in der ukrainischen Provinz wirkte.

Die letzte Einheit Autobiographik nach dem Zerfall der Reiche liest sich wie ein Ausblick auf die imperialen Biographien und deren Selbstdarstellungen nach dem Ende der Imperien. Betont wird dabei die Frage des Schreibzeitpunkts, also der Wissensstand der AutorInnen um den Untergang der Imperien. Auch in diesem Abschnitt sind alle drei Imperien durch die Beiträge von Murat Kaya, Elke Hartmann und Franziska von Thun-Hohenstein vertreten.

Der Sammelband leistet durch seine innovative Verknüpfung einen wichtigen Beitrag zur Autobiographik- und Imperienforschung, die schlüssig argumentiert präsentiert wird. Er zeigt nicht nur neue methodische Zugänge auf und präsentiert ein breites Spektrum von deren Anwendungsmöglichkeiten, sondern trägt durch seinen Fokus auf autobiographischen Praktiken entscheidend zur Etablierung der Autobiographikforschung bei. Die Herausgeber versprechen dem Leser in einer sehr informativen und systematisch aufgebauten Einleitung viel, was sich auch durchaus erfüllt. Gerade der abschließende Absatz der Einleitung Vom Nutzen der Autobiographik-Forschung für die Imperiengeschichte liest sich wie ein Fazit des Sammelbandes, das die Thesen und Fragen der Herausgeber wieder aufgreift. Die Gesamtkonzeption geht auf, die einzelnen Beiträge realisieren die von den Herausgebern entwickelte Konzeption, so dass sich ein roter Faden durch den Sammelband zieht und ein kohärentes Format entstanden ist. Erfreulich ist auch die Heterogenität der beitragenden Autoren, die eine Mischung aus etablierten Forschern und Nachwuchsforschern darstellt.

Für den weiteren Verlauf der Reihe wäre es aber wünschenswert, dass die Herausgeber sich entsprechend der Autobiographikforschung stärker auch auf nicht-textuelle Selbstzeugnisse konzentrieren. Obwohl dies in der Einleitung thematisiert wird, gibt es keinen einzigen Beitrag, der über textliche Quellen hinausgeht. Außerdem wäre auch die Untersuchung von anderen, insbesondere weniger privilegierteren Schichten oder weiblicher autobiographischer Praxis ein wichtiger Zugewinn sowohl für die Autobiographik- als auch die Imperienforschung. Erfreulicherweise benennen die Herausgeber ebenjene Mängel und formulieren sie als mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen und zukünftige Bände der Reihe. Dies ist ein vielversprechender Ausblick und lässt auf entsprechende Bände hoffen.

Redaktion
Veröffentlicht am
23.12.2016
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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